Die Quantified Self Bewegung und unsere Gesellschaft

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Eine App für Benjamin Franklin

Benjamin Franklin war ein außergewöhnlicher Mensch. Er war seiner Zeit in vielerlei Hinsichten voraus. Eine davon ist besonders interessant: Als junger Mann definierte Franklin 13 Tugenden für sich, an die er sich so gut wie möglich halten wollte. Um das sicherzustellen, entwickelte er ein System, welches ihm helfen sollte, sich effektiv und simpel selbst zu kontrollieren: Für jede dieser sog. 13 Tugenden legte er eine Tabelle in einem Notizbuch an, wobei Zeilen die Tugenden und Spalten Wochentage darstellten. Am Ende eines Tages setzte er für jede seiner gewählten Tugenden einen Punkt, wenn er sich nach seinem Gewissen nicht daran gehalten hatte [1].
Das erlaubte Franklin seine Fehltritte und seinen Fortschritt in der eigenen Charakterbildung zu messen und sich an seiner Meinung nach notwendigen Stellen zu verbessern. Franklin verwendeten also bereits im 18. Jahrhundert, was heute viele auf ihrem Smartphone installiert haben: Einen sog. Habit-Tracker, also einen “Gewohnheiten-Verfolger”, eine Applikation, mit deren Hilfe sich Angewohnheiten überwachen lassen und von der Benjamin Franklin heute ziemlich wahrscheinlich profitieren würde.

Was ist Quantified Self ?

Habit-Tracker sind aber nur eine Instanz eines heute weit verbreiteten Phänomens: Quantified Self. Quantified Self ist gleichzeitig eine kulturelle Bewegung sowie eine Gemeinschaft von Praktizierenden und Entwicklern in Zusammenarbeit. Bei Quantified Self geht es im Grunde genommen darum, Daten über die eigene Person zu erheben um daraus Erkenntnisse über sich zu gewinnen. “Self knowledge through numbers” [2] - das Motto der erwähnten Gemeinde - bringt es genau auf den Punkt. Warum jedoch will und sollte man sich “durch Daten kennen” lernen? Die Gründe der “Quantifizierer” lassen sich in zwei Kategorien einteilen:

  1. Verbesserung der Gesundheit und des Wohlbefindens
  2. Verbesserung seiner Leistung und Effizienz

Quantifizierer versuchen also einen oder mehrere Bereiche ihres Lebens durch Daten zu optimieren.

Moderne Technologien ermöglichen das Sammmeln und den Zugriff auf Unmengen an Daten: Angefangen mit Fitnessuhren, Tracker-Apps bis hin zu Schlafphasenmessern und invasiven Glukosemessern - all das zu messen wäre vor 30 Jahren für normale Menschen kaum denkbar. Erst durch die Komprimierung der Geräte auf ein tragbares und modisches Format sowie die Automatisierung und Vereinfachung zahlreicher Tracking-Prozesse ist Tracking für die allgemeine Bevölkerung plausibel und realisierbar geworden.
Das wird auch die junge Geschichte der modernen Praktik erklären.

Geschichte von Quantified Self

Der Begriff selbst wurde 2007 von Gary Wolf und Kevin Kelly geprägt, wichtigen Journalisten bzw. Executive Editors der Zeitschrift “Wired” [3]. Sie sind auch die Gründer der “Quantified Self”-Bewegung und die Organisatoren der Quantified Self Konferenzen. Angefangen mit der ersten Versammlung in San Francisco Bay in 2008, wuchs die Bewegung rapide, Quantified Self Gruppen wurden in vielen großen Städten gegründet. Die erste internationale Konferenz fand 2011 statt [4]. Heute nehmen knappe 100.000 Mitglieder [5] an regulären Veranstaltungen teil.

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[6] Abb. 1: QS Conference 2015 Fort Mason (Image: Damien Catani)

Die Funktionsweise von Selbst-Trackern

Almost everything we do generates data.”, sagt Gary Wolf, aber von Nichts kommt Nichts. Wie entstehen unsere Daten? Denkt der Mensch an (Fitness-) Tracker heutzutage, dann denkt er zuerst an sein Smartphone oder seine Uhr. Für die Generierung verschiedener Daten werden verschiedene Sensoren benötigt, z.B. Bewegungssensoren, optische Sensoren, bioelektrische Sensoren, GPS-Empfänger, usw.[7]. Neben der Hardwareseite gibt es jedoch auch die Softwareseite. Die Sensoren sind mit dem Smartphone drahtlos via Bluetooth verbunden, wo die Daten mit den neuesten und effizientesten Algorithmen verarbeitet und ausgegeben werden.

Betrachten wir das durchschnittliche Sensorenpaket der Uhren der “Fitbit”-Familie: Eingebaut sind eine Gyroskop, ein Orientierungssensor, ein Barometer, ein Beschleunigungssensor, sowie ein Herzschlagsensor [8]. Nicht mitgezählt sind eine Batterie, ein Speicher, der die Software trägt und die unter anderem auch die Uhrzeit anzeigt, ein Bluetooth-Modul, die Bildschirmkomponenten und möglicherweise noch ein Chip der das Programm kontrolliert und laufen lässt. Alle diese technischen Komponenten sind in einer Fitnesstrackeruhr auf die Größe eines Daumens komprimiert. Früher mussten Menschen von Experten aufwendig verkabelt werden um physiologische zu messen - heute sind diese Sensoren so klein, dass sie so gut wie in jedem Gegenstand verbaut werden können und sind, laut Gary Wolf, dabei auch sehr kostengünstig (unter 1 Dollar) in der Massenproduktion [9].

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[10] Abb. 2: Inhalt einer Fitbit Flex (Bild: iFixit)

Ein rasant wachsendes Phänomen

Selbst-Tracking gewinnt stetig an Popularität.

So verwendeten laut einer Untersuchung in den Vereingten Staaten von 2014 schon 9 % der Befragten einen tragbaren Gesundheits- bzw. Fitnesstracker und 16 % eine App. Nur zwei Jahre später verdoppelten sich beide Zahlen auf sogar jeweils 21 % und 33 % [11].

Das Phänomen lässt sich nicht nur in den Staaten beobachten, sondern auch auf anderen Kontinenten nimmt die Selbstquantifizierung an Fahrt auf: Laut einer Umfrage von 2016 verwendeten 33 % der Befragten aus 16 Ländern in Europa, Asien, Süd- und Nordamerika eine Tracking-App, Fitness-Armband oder Smartwatch zum Zeitpunkt der Befragung. Weitere 18 % gaben an, ein solche Technologie schon mal verwendet zu haben [12].

In Kanada nutzten in einer repräsentativen Studie von 2018 66 % der Befragten regelmäßig eine Tracking-App um ihre Gesundheit zu überwachen.

Große Risiken

Die Zahl der Selbsttracker und der Trackenden wächst. Das bleibt, wie alles andere auch, nicht ohne potenzielle Gefahren. Welche Auswirkungen wird das quantifizierte Optimieren auf die Menschen und die Gesellschaft haben? Wie wird das unser Gesundheitssystem verändern? Diese und weitere Fragen werden wir im nächsten Blogeintrag beantworten.



[1] “Autobiography of Benjamin Franklin”, Benjamin Franklin, Juni 1922 (Ebook zuletzt abgerufen am 17.02.2020 auf https://www.gutenberg.org/files/20203/20203-h/20203-h.htm)

[2] “What is Quantified Self?”, Quantified Self (Aufgerufen zuletzt am 19.02.2020 auf https://quantifiedself.com/about/what-is-quantified-self/)

[3] “What is the Quantified Self?”, Gary Wolf (Blog zuletzt aufgerufen am 19.02.2020 auf https://quantifiedself.com/blog/what-is-the-quantified-self/)

[4] “What is Quantified Self?”, Quantified Self Institute (Zuletzt aufgerufen am 19.02.2020 auf https://qsinstitute.com/about/what-is-quantified-self/)

[5] https://www.meetup.com/topics/quantified-self/ (Zuletzt aufgerufen am 21.02.2020)

[6] https://i0.wp.com/blog.goalmap.com/wp-content/uploads/2015/07/IMG_20150618_090434.jpg (Zuletzt aufgerufen am 24.02.2020 auf https://blog.goalmap.com/en/news-from-the-quantified-self-movement/)

[7] “Wie funktionieren Fitness Tracker und Fitnessarmbänder?”, Florian (Zuletzt aufgerufen am 22.02.2020 auf https://www.fitness-tracker-test.info/ratgeber/funktionsweise/)

[8] “Sensor Guides”, Fitbit Inc. (Dokumentation zuletzt aufgerufen am 22.02.2020 auf https://dev.fitbit.com/build/guides/sensors/)

[9] “Gary Wolf: The quantified self”, TED@Cannes, 27.09.2010 (Video zuletzt aufgerufen am 22.02.2020 auf https://www.ted.com/talks/gary_wolf_the_quantified_self#t-100882)

[10] https://s3.amazonaws.com/digitaltrends-uploads-prod/2014/11/inside-a-fitness-tracker.jpg

(Bild zuletzt aufgerufen am 24.02.2020 auf https://www.digitaltrends.com/wearables/whats-inside-fitness-tracker-anyway/)

[11] “Patients want a heavy dose of digital”, Accenture Consulting (PDF zuletzt aufgerufen am 23.02.2020 auf https://www.accenture.com/_acnmedia/PDF-6/Accenture-Patients-Want-A-Heavy-Dose-of-Digital-Infographic.pdf#zoom=50)

[12] “Global Studies - Fitness Tracking”, GfK (Growth from Knowledge) (Bilder und Webseite zuletzt aufgerufen am 23.02.2020 auf http://www.gfk.com/global-studies/global-studies-fitness-tracking/)

Autoren: Nikita Khutorni, Harald Asmus (25.02.2020)